Ein hoher Preis

Kunterbunte Kreppbänder hängen gebündelt am, im anliegenden Wald vielleicht nicht zu hundert Prozent legal gefällten, Birkenstamm, welcher gerade vom Zimmermann sorgfältig am Dachstuhl des neu errichteten Hauses in noch rohem Zustand befestigt wurde. Die Familie ist gekommen, Bekannte, am Bau beteiligte Menschen und Unternehmen. Kaffee und Kuchen sind angerichtet, danach wird die Holzkohle im neu erstandenen Grill vom Discounter um die Ecke auf Betriebstemperatur gebracht und nett marinierte Steaks und Hähnchenkeulen behutsam aus den Plastikverpackungen gezogen. Natürlich dürfen Kaltgetränke nicht fehlen. Die gab es beim Discounter als Extra zum Grill gleich dazu. Es wird gelacht und gefeiert, getrunken und auf roter, zäher Faserstruktur, in zuckersüßem, roten Tomaten Gel aus der Flasche gebadet, gekaut. 

Schon bald kann es losgehen, der Einzug ins erste Eigenheim ist nicht mehr weit, so die Theorie. Die Möbel sind bestellt, Farben und Einrichtung sorgfältig geplant.

Am Tag nach dem Richtfest werden Fenster und Türen angeliefert. Nur installiert werden können sie nicht. Zu ungenau wurden die Maße eingehalten und ohne große und sehr grobe Nachbesserungen dürften die eigenen vier Wände auch weiterhin einem Schweizer Käse gleichen. Kaum schwingen die Hämmer, gröhlen die Schlagbohrer und reißen mechanische Meißel große Stücke neu Erbautes aus den Wänden, zeigt sich das auch Elektriker und Wasserinstallateure ihrem Kostenvoranschlag nicht unbedingt gerecht wurden und lieber schnell wieder zu Hause bei ihrer lokalen Fußball Mannschaft sein, und den Feierabend schneller als Andere erreichen wollten. In den kommenden Wochen werden sich deutlich mehr Menschen in Arbeitskleidung durch die nicht vorhandene Eingangstüre drängen als jemals gedacht. Die anfänglich errechneten Baukosten dürften durch die unumgänglichen Sanierungskosten deutlich höher liegen und eine Nachfinanzierung notwendig machen. Hätte man doch nur nicht diese acht Prozent an einem renommierten Bauunternehmen sparen wollen und dem verlockenden Angebot einer Firma mit Geschäftsadresse Narnia nachgegeben. Auch das Elektriker und Installateure täglich aus Westeros anreisten, hätte zu Denken geben dürfen.

Glück muß man haben im Leben. Bereits bei der Hochzeit schienen vierblättriges Kleeblatt und Schornsteinfeger, nicht anwesend zu sein, Glückspfennige hatten ihren Weg in die Zentralbank gefunden und Misteln ihr Interesse daran verloren Zweige zu befallen, selbst Hasen haben erkannt, das sie mit allen vier Pfoten ein besseres Leben führen können.

Bis ins letzte Detail und über Monate wurde alles geplant, von der Farbe, Länge, Volumen des Brautkleids über den idealen Ort für die anschließende Feier, ein wunderschönes Schlösschen, umgeben von einem tollen Park, mit riesigen Wiesenflächen im Schatten immenser Stieleichen, Rotbuchen, Fichten und Kiefern, malerische Brücken überqueren den Wassergraben. Ein Restaurant samt anscheinend hervorragendem Menü für größere Veranstaltungen war ebenfalls inklusive. Das Testessen war außerordentlich gut, und kostspielig. Eigentlich doch etwas zuviel für die geplante Anzahl an Gästen und der Kostenvoranschlag des Schlossinhabers ließ darauf schließen, wie man dieses mittelalterliche Gebäude samt Parkanlage derart gut in Schuss halten konnte.

Zum Glück kannte ein Bekannter eines entfernten Cousins ein Lokal mit großem Biergarten, einen Park sollte es ebenfalls im gleichen Ort geben.

Bei der Gestaltung des feierlichen Ambientes musste allerdings selbst Hand angelegt werden. Kein Problem, schließlich ist man handwerklich ja nicht ganz unnütz und hat bereits den ein oder anderen Nagel in die Wand geschlagen und die Bierzelte bei den alljährlichen Vereinsfeiern werden ebenfalls fast ohne Ausnahme unfallfrei errichtet.

Glücklicherweise kannte der Schwager eben jenes entfernten Cousins jemanden, der sich gerade erst eine neue Kameraausrüstung zugelegt und sogar bereits das ein oder andere Youtube Tutorial über Fotografie als Einstieg in die Fotografie besucht hatte. Besser hätte es doch kaum laufen können. Ok, die Hochzeitszeremonie war wirklich toll, der Pfarrer wusste was er machte und die von der neuen Schwägerin erstellten Blumengestecke kamen wirklich gut an. Die Feier war ausserordentlich lustig, was daran gelegen haben könnte, das sich die geladenen Gäste in Rekordgeschwindigkeit mit den vorhandenen Spirituosen sättigten, um den  nicht unbedingt feierlichen Geschmack der Gerichte des Hochzeitsbanketts ertragen zu können. Nur gut, das die Fotos zum größten Teil falsch belichtet und nicht so richtig scharf waren und der Hochzeitsfotograf, wenn er denn tatsächlich mal seine Kamera aus der Tasche zog, seine Linse eher auf die weiblichen Gäste der Feier und dem feucht fröhlichen Treiben auf und neben der, in mit siebziger Jahre Vinyl überzogenen Tanzfläche, richtete. Bis das Akku seiner Kamera aufgab jedenfalls. Offizielle Hochzeitsfotos gab es aber trotzdem. Eine Woche später, im Studio eines tatsächlichen Fotografen, welcher sogar eine Parkbank und Wassergraben samt malerischer Brücke als Hintergrundmotiv für das Wunschfoto organisiert hatte. 

Eine reale Wohnzimmerwand, welche geeignet wäre ein dreißig mal vierzig Zentimeter großes, in hübsch dekoriertem Aluminiumrahmen, gerahmtes Hochzeitsfoto in Szene zu setzen, lässt aber weiter auf sich warten.

Hätte man doch nur minimal mehr investiert, vielleicht sogar deutlich mehr. Wäre es bei der Endabrechnung nicht doch günstiger gewesen und wäre somit auch ein Restbudget für einen Grill, der mehr als nur ein Richtfest überstehen würde, übrig geblieben?

Muss Qualität teuer sein? Wenn ja, warum?

Da wäre das Werkzeug aus dem ein Euro Laden, welches bereits beim puren Anblick von Arbeit in alle Einzelteile zerfällt, damit sein Besitzer gleich wieder in den ein Euro Laden rennt um den gleichen Satz Arbeitsmittel zu erstehen und den ganzen Prozess mit drücken der Reset Taste neu und vielleicht erfolgreicher einzuleiten und das dreimal pro Woche. Ist das Werkzeug am Ende immer noch günstig und hat es überhaupt seinen Zweck erfüllen können?

Sicherlich kennt jeder jemanden oder den Freund eines Cousins, der sich gerade eben eine mehr oder minder tolle Kameraausrüstung gekauft hat, vielleicht sogar neu und durch Zahlung des vollen Kaufpreises. Eigentlich so wie es jeder Fotograf, der einen angemessenen Preis für seine Werke verlangt, auch machen würde. Mit dem kleinen Unterschied das jene, die beruflich, zum Lebensunterhalt, also professionell auf Bilderjagd gehen, nicht nur ein Studium in der Gestaltung mit Licht, sondern auch sehr sehr viel Erfahrung mit der Kameratechnik, der Bildgestaltung und dem Arbeiten mit Motiven haben. Selbst Quereinsteiger ohne Studium besitzen meist eine riesige und kostspielige Bibliothek an Lehrbüchern, besuchten auf eigene Kosten fachspezifische Lehrgänge und blicken auf Jahre der Übung, viele kostspielige Fehler und vor allem Begeisterung an der Fotografie zurück. 

Gleiches lässt sich auf ziemlich jede weitere Berufssparte übertragen, egal ob im Kreativbereich, Kultur, Sport, Schulung oder Handwerk. Jahre der Berufserfahrung gepaart mit hochwertigem Handwerkszeug, ständigen Fortbildungen, Instandhaltung und Wartung der zur Arbeit notwendigen Geräte um konstant Top Leistungen abliefern zu können, dürfen und müssen ihren Preis haben, damit Qualität nicht auch irgendwann im Lexikon oder bei Wikipedia unter ausgestorben zu finden sein wird.

Am Ende profitieren alle davon, denn schlussendlich ist Qualität günstiger als billig. Häuser können pünktlich bezogen werden und das Fleisch vom Qualitätsmetzger aus der Umgebung oder das Gemüse vom Bauern aus dem Nachbardorf, schmecken auf dem rostfreien Markengrill auch gleich besser.