Genuß

Auf leisen Sohlen schleppen die neuen weiß blauen Sneaker den Körper die in weichem weißgold marmorisierten Treppenstufen hinauf. Die dunkle Jeans sitzt einwandfrei und trotz einem langen und anstrengenden Tag vor dem Computer und in diversen Sitzungsräumen wirkt selbst das blaue Polohemd, perfekt auf die Farbe der Sneaker abgestimmt, als wäre es gerade frisch gebügelt aus dem gut sortierten Kleiderschrank gezogen worden. Die große mattgraue Haustüre ist schnell geöffnet. Der Partner wartet bereits, das Licht ist gedimmt, und da ist dieser köstliche, unvergleichliche Geruch eben jenes Gerichts, dessen traumhafter Geschmack bereits seit Monaten auf der Zunge liegt, sanft den Gaumen entlang läuft, aber die Emails warten, der Lieblingsverein spielt heute und es wird live im Fernsehen übertragen, dazu muß auch noch der Tagesbericht verfasst werden. Selbst als der Partner einen Versuch unternimmt meine Hand zu berühren, mich beruhigend zu umarmen, wird von meinem Gehirn nicht mehr registriert.

 

Der Himmel schimmert, die Farben leuchten, strahlend rot über orange bis hin zu fast kitschigem Pink reflektieren die letzten Sonnenstrahlen eines traumhaften Tages in der abendlichen Wolkenschicht, lässt das knallige gelb der umliegenden Raps Felder plötzlich in einem warmen orange Ton erstrahlen, Vogelschwärme ziehen vor der untergehenden Sonne ihrem Übernachtungsziel entgegen und die letzten Radfahrer als Silhouette am Horizont vorbei, aber das Gespräch über die Freisprechanlage meines rassigen Neuwagens lässt mich all dies nicht wahrnehmen. Die Tatsache das dem Kauf des neuen Fortbewegungsuntersatzes wochenlange Recherche vorausging, alle Details stimmen sollten, nein, mussten, von den elegant beige farbenen Lederbezügen, Armaturen und Schalthebel in Mahagoni Look, der unauffälligen und doch so satt klingenden Soundanlage, den in der Abendsonne glänzenden Alufelgen und der exakten mattbraunen Farbgebung, auch wenn im Innenraum davon nichts spürbar ist, gerät ebenso in Vergessenheit. Die Gedanken sind bei weiteren ankommenden Gesprächen, Zukunftsplänen, Fortschritt, Aufstiegschancen.

 

Sanft und fast geräuschlos setzt der Bug meines Boards auf der Oberfläche des glasklaren Wassers auf, bevor die Füße den weichen, angenehm warmen Sandstrand verlassen, die einzelnen Sandkörner gemächlich zwischen den Zehen zurück zu ihren Artgenossen rieseln und sich die Zehen im Automodus ihren Weg in die noch angenehmer gepolsterten Fussschlaufen suchen. In aller Ruhe schiebt sich der Bug durch das transparente Wasser. Trotz nicht gerade geringer Wasssertiefe ließe sich die Unterwasserwelt bestaunen, die grünlich schimmernden Steine, mit Algen bewachsen, Fische welche sich scheinbar keine allzu großen Gedanken darüber machen, eventuell in den falschen Frühstückshappen zu beißen und an einem Widerhaken aufgespießt aus ihrer Wohlfühloase gerissen zu werden. Der Palmengesäumte Sandstrand glänzt im Gegenlicht, das satte Grün der Palmblätter, welche sich im Rhythmus des Windes bewegen, deutlich zu erkennen. Die ersten Badegäste mit Sandstrahlfetisch breiten ihre Tücher für ein weiteres intensiv Sonnenbad aus, Jogger und Fahrradfahrer genießen die neu gestaltete Strandpromenade. Wind trifft ins leuchtend bunte Segel, beschleunigt mein Board, und sorgt für das erste Peeling bei den Badegästen, ganz auf Kosten des Hauses. Die Gicht befeuchtet die Gesichtshaut, lässt den langen Haaren keine Gelegenheit schmerzhaft in die Augen zu wehen. Wellen rollen meinem Board entgegen. Majestätisch schön und wie des Königs Armee, der gerade erst eroberten Grund und Boden verteidigend, gröhlend und tosend.  Nur ist dies kein Schlachtfeld sondern einer der friedlichsten Plätze auf diesem Planeten. Wenn da nur nicht diese immensen Alltagssorgen einen kaum zu ertragenden Druck unter der Schädeldecke auslösen würden.

 

Langsam und behutsam dreht sich das Gewinde, elegant glänzender rostfreier Stahl dreht sich widerstandslos in die ehemalige Rinde der Korkeiche. Geräuschlos schiebt sich der Korken aus dem Flaschenhals um mit einem kaum vernehmbaren Plop aus der Flasche zu entgleiten. Luft dringt an das vom Sommelier empfohlene und bereits etwas in die Jahre gekommene rote Genussgetränk. Es sollte schon etwas besonderes sein, so häufig lässt man es sich nicht derart gut gehen. Um sein volles Aroma gänzlich entfalten zu können, müsse der Wein nun eine Weile atmen, bevor er Zunge und Gaumen anfeuchten  dürfe, so der Weinkellner. Aber das Essen steht bereits auf dem Tisch und es soll anschließend ja auch noch ins Kino oder Theater gehen. Die bisher zugeführte O2 Menge muß also reichen und schon klingen die in absoluter Perfektion polierten Gläser aneinander.

 

Familie und Kinder, damit einhergehender Zusammenhalt, Gemütlichkeit in vielen Momenten, familiäre und heimische Idylle, Stolz, all das war ein Wunsch der Wirklichkeit wurde. Jetzt spüre ich wie die kleinen zarten und zerbrechlichen Finger in meine Handflächen gleiten, versuchen meine großen Hände zu greifen und daran zu zerren. Immer und immer wieder. Beim Blick hinunter schaue ich direkt in diese glänzenden, großen und wunderschönen Kinderaugen. Einige sagen sie ähneln hundertprozentig der Mama während andere eher der Meinung sind, das sie direkt aus Vaters Kopf in dieses Kind transferiert wurden. Können wir bitte spielen? Die leisen, fast weinend vorgetragenen Worte dringen bis tief in den Gehörgang und scheinen dort zu stoppen. Denn eigentlich wollte ich doch gerade die Nachrichten sehen, mich informieren was meine Freunde, von denen ich im wahren Leben nur einem Bruchteil begegnet bin, auf den sozialen Medien treiben. Sicherlich hat jemand meinen letzten Post kommentiert, eine Antwort darauf wird nicht warten können.

 

Wir arbeiten um zu Leben, nicht umgekehrt. Wir verdienen Geld um unser Leben zu finanzieren, wobei es manche aufwendiger und in etwas mehr Luxus mögen, während wiederum Andere mit weniger zufrieden sind und ihr größtenteils durch immensen Schweiß- und Kalorienverlust verdientes Geld lieber in ihre liebsten Freizeitaktivitäten stecken möchten, bis auch diese in Arbeit ausarten und Stress verursachen können Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, was wirklich wichtig ist. Die vielen kleinen Momente, die das Leben erst wirklich ausmachen und die anscheinend von vielen nicht mehr wahrgenommen werden können.

Als Resultat wirkt der Körper ausgebrannt, Lust- und Antriebslos, möchte  nur noch in den Tiefen des neu erworbenen Sofas versinken und den fünfundsechzig Zoll Plasma Fernseher aus dem Standby Modus erwecken, als Hintergrundbelustigung während zwischen diversen Applikationen sozialer Medien hin und her gescrollt wird.

Dabei befindet sich der Schlüssel zum Glück nicht hinter Zentimeter dicken Tresortüren, sondern ist greifbar nah.

Sobald man sich besinnt auch die kleinen Momente zu genießen, erhalten Körper und Geist eine Frischekur und das Gefühl von Glück wird zurückkehren. Momente wiederholen sich nicht, auch wenn man manchmal denkt Herr über die Zeit sein zu können.

Genieße den Moment, Lebe und Erlebe den Augenblick!