Macht der Passion

 

Nervös wippen die Beine unter dem Schreibtisch, eine erhöhte Herzfrequenz treibt einen kaum wahrnehmbaren Schweißfilm auf die Stirn, die Armbehaarung macht sich für einen Gänsehaut Anfall bereit. Die Uhr an der Wind tickt, laut und umbarmherzig, zu laut für mein empfinden, aber definitiv auch viel zu langsam. Das Smartphone neben der Computer Tastatur klingelt, vibriert aufgeregt im Kreis, Kollegen haben noch einige Fragen vor dem Feierabend. All das spielt sich nur noch im Hintergrund ab, wie eine schlechte Kulisse in einem drittklassigen und absolut unterfinanzierten Film.

Endlich. Ruckartig spannen sich die Beine von den Zehenspitzen bis hin zur Hüfte an um den eisernen und etwas zu klein geratenen Bürostuhl zurück zu katapultieren, die mit Papieren, Plänen und Statistiken überfüllte Magnetwand dahinter kommt dabei bedenklich ins Wanken. Auch das bekommen die Kollegen exklusiv mit. Zu euphorisch rauscht mein Körper dem Ausgang entgegen, selbst die hübsche Brünette in ihrem körperbetonten und absolut stilechten grünen Hosenanzug, welche ich seit Ewigkeiten bei einer unserer alltäglichen gemeinsamen Fahrten im Aufzug ansprechen wollte, und die gerade heute versucht mir etwas ins Ohr zu flüstern, sehe ich wie einen Fisch durch eine dieser Taucherbrillen, welche selbst nach ausgiebigem Studium des Benutzerhandbuchs in Sekundenbruchteilen geflutet werden, als wäre dies ihre tatsächliche Bestimmung..

Mit raumgreifenden Schritten fliege ich förmlich durch die Doppeltüre mit dem winzigen, grünen Exit Schildchen darüber, noch eine weitere Gitterdrehtüre und schon wandert der Zeigefinger auf den Türöffner der ferngesteuerten Schließvorrichtung, welche sich bereits seit einer halben Ewigkeit in der Hand befindet, um die Autotüre zu öffnen. Schön wäre es würde der Motor bereits starten und der Wagen mit geöffneter Fahrertüre auf mich zukommen, aber auch mit traditionellem Einsteigevorgang geht nicht wirklich Zeit verloren.

Tief durchatmen.

Die Pflicht ist beendet. Die einzigen Gedanken drehen sich seit einer gefühlten Ewigkeit ausschließlich um meine neue Passion.

Egal worum es sich handelt, ob im sportlichen Bereich, vielleicht ein neuer und faszinierender Nebenjob, ein neuer Lebensgefährte, eine neu entdeckte Begeisterung für die Pflanzenwelt und die Natur, eine nie für möglich gehaltene Sammelleidenschaft, der neue Hund oder das gerade erworbene Pferd. Neues kann so faszinierend sein, so begeisternd und vor allem das Leben auf positive Weise dramatisch verändernd.

Passion bewirkt ein positives Lebensgefühl, sie kann eine fast unwirkliche Kraft entfachen. Dinge die immer für unmöglich gehalten wurden, gehen plötzlich mit ungeahnter Leichtigkeit von der Hand. 

Dopamine übernehmen die Kontrolle über den Körper. Was gestern noch vermieden werden wollte, pure Anstrengung  bedeutete oder gar Ängste auslöste, ruft heute plötzlich Freude und die Lust, vielleicht sogar eine Art Gier, auf mehr hervor. Wie?

Handelt es sich bei der neu entfachten Leidenschaft um etwas, das bereits seit Jahren, vielleicht bereits seit der Kindheit zum Alltagsleben gehört, eine Sportart, die immer größer werdende Hausbibliothek, Vereinsleben, dann reicht häufig bereits eine kleine Veränderung, eine neue Herausforderung, um das Feuer neu zu entfachen.

Seit der Zeit in der Tennisschläger noch aus Holz gefertigt wurden, die Hosen zu kurz und die Hemden zu eng waren, trifft man sich allwöchentlich mit Freunden und Gleichgesinnten, um ein paar Bälle übers Netz zu schlagen, Punkte zu zählen, mehr oder weniger und sich danach bis zur nächsten Woche zu verabreden. Gewohnheit eben.

Dann wird der neue Tennislehrer des Clubs vorgestellt, er soll Top sein. Es folgen die ersten Trainingsstunden seit der Kindheit. Plötzlich fliegen die Bälle mit dem Spin und vor allem der Richtung und Geschwindigkeit, mit der man es schon hätte seit Jahren machen wollen. Das macht Spaß. 

Vielleicht war es auch der erste Besuch bei einem Tennisturnier. Die Athletik, Präzision und Geschwindigkeit begeisterte. Das wollte man nun auch. Schon ist der Funke übergesprungen.

Jahrelang dümpelt man mit seinem Windsurfboard über den heimischen See, eine nette Belustigung für eine halbe Stunde an einem schönen Sonntagnachmittag, bis sich plötzlich der Himmel verdunkelt, die Wolken dichter werden, die Bäume anfangen zu singen und das Wasser sich im gleichen Rhythmus melodisch kräuselt. Das Segel bekommt Druck, festhalten, bis das Board immer weiter beschleunigt und sich das Heck sanft aus dem Wasser hebt. Plötzlich wird es ruhig, das Board fühlt sich unglaublich stabil an und der Segeldruck ist fast völlig verschwunden, bei atemberaubender Geschwindigkeit. Ab sofort wird täglich in die Windvorhersage geschaut und Brett und Segel erst gar nicht mehr vom Dachträger des Familienautos abgeschnallt.

Wenn man erkennt, das bei geringerer Nutzung der Vorderradbremse auf dem Mountainbike nicht gleich ein Salto vorwärts, für welchen Juroren aus Turn und Tanz Sportarten womöglich nicht mal die Tafeln mit den unteren einstelligen Werten in die Lüfte halten würden, resultiert, sondern man mit Kontrolle und Geschwindigkeit selbst größere Hindernisse und unwegsamere Trails meistern kann.

Was aber, wenn man sich für das normale, bisherige, das Alltägliche einfach nicht mehr begeistern kann und der nötige neue Schub ausbleibt?

Passion gibt es weder, nett in babyblaues Geschenkpapier mit rosa Sternen verpackt im Kiosk an der Ecke, noch beim Online Riesen als Premium Mitglied.

Dann heißt es Augen auf, Ohren gespitzt und öfter Ja als Nein sagen, wenn der beste Freund oder auch ein Bekannter mal wieder zu etwas absolut neuem einlädt, man in den Medien mitbekommt, das Dinge, die bereits im Kindesalter als Tagträume durch den Kopf schwirrten, nun endlich möglich seien, ganz in der Nähe. 

Ja, ich mache das jetzt !!  Nicht selten wird eine Leidenschaft, eine Passion daraus und die resultierenden Kräfte sind unvergleichlich.