Einmal Gelb in Blau bitte

Mit einem leicht knatternden Geräusch hebt sich die Jalousie des Schlafgemachs, stetig und geschmeidig. Die ersten grellen Sonnenstrahlen schießen durch die sich öffnenden Spalten und direkt auf die Bindehaut. Tief steht die Sonne, keine Wolkenformation, welche ihre intensive Strahlung etwas abmildern würde. Kurz nachdem der Sehsinn wieder seine Arbeit aufnehmen kann, tiefes schwarz in langsam wabernden Punkten aus dem Blickfeld schweben, wird es warm auf der Haut, vielleicht deutlich zu warm für diese Jahreszeit. Sollten nicht eigentlich die ersten buntgefärbten Blätter langsam Richtung Boden rieseln, um dann mit ohrenbetäubendem Lärm von Laubbläsern unterschiedlichster Gattung von einem Ort zum nächsten geweht zu werden? Sollten nicht die ersten Herbststürme die Wettervorhersagen in den täglichen Nachrichten aller Kanäle beherrschen? Im Konjunktiv gesprochen. Doch wie so vieles ist auch dies in diesem Jahr anders als gedacht, unterscheidet sich aufs deutlichste vom Gewohnten.

Die dicken Allwetterjacken dürfen es sich, gestützt von schlichten bis fröhlich bedruckten und vor allem gelangweilten Regenschirmen, weiterhin in den hintersten Regionen des riesigen Wandschranks gemütlich machen.

Glücklicherweise gab es im Ausverkauf der Drogeriemärkte den Sonnenschutz bereits deutlich vergünstigt.

Die herrlich frische Herbstluft, nach einem weiteren ausgiebigen Regenschauer, welcher auch die letzten widerspenstigen Staubpartikel aufzusammeln scheint, um sie gen Boden zu pressen und durch die diversen Bodenschichten zu filtern, sofern diese noch nicht von einer Zentimeterdicken Asphalt Schicht überzogen sein sollten, machen für gewöhnlich das gewisse Extra aus. Dennoch ist es eine herrliche Gelegenheit, die Räder des Mountainbikes mit Luft zu füllen, was bei Multitaskern bereits als Aufwärmprogramm durchgehen dürfte, die Kette zu ölen, Gänge einzustellen und das Gefährt auf einen langen Ritt durch die tollen heimischen Wälder, entlang von Flüssen, Seen, Burgen, Ruinen und über die altbekannten Trails und Pfade zu führen. 

Die schlichte aber in Radfarben gehaltene Radkleidung ist über den Körper gestreift, die Brillengläser gereinigt, Boardverpflegung in die dafür vorgesehene Halterung gesteckt und das GPS Gerät startbereit. Der Routenplaner ist eher überflüssig. Wie in einem sehr lebendigen Traum läuft die geplante Route vor der gerade erst auf Hochglanz polierten selbsttönenden Fahrradbrille ab, die engen Trails, jeder einzelne Anstieg, die Abfahrten und natürlich die Mischwälder, deren großartige Baumvielfalt. Selbst der Duft lässt sich bereits erahnen, erschnüffeln.

Genügsam übt zuerst der rechte Fuß Druck auf das in den Schuh eingeklickte Pedal aus, dann kommt der Linke. Langsam, etwas träge. Bereits jetzt ist die Hitze zu spüren, die ersten Schweißtropfen fanden bereits beim Aufschwung auf das teilgefederte Gefährt ihren Weg in den atmungsaktiven Zellstoff. Zum Glück werden mir die Wälder, die saftig grünen Bäume ihren Schatten wie eine kühlende Decke über den Körper legen, die Leistungsfähigkeit vielleicht nicht steigern aber zumindest erhalten, schließlich gilt es einige satte Anstiege zu bewältigen, mit Technik aber auch mit relativ hohem Energieaufwand.

Bis zum Einstieg in die Wälder führt der Weg über glimmenden Asphalt. Die Profilbereifung des Mountainbikes haftet am Straßenbelag, welcher seinem Schmelzpunkt bereits sehr nahe zu kommen scheint, selbst das Abrollgeräusch des Kautschuks auf der aus Erdöl gewonnenen Bitumen und Gestein Mischung, passiert das Trommelfell ohne beschilderte Umleitung.

Noch bevor die ersten saftig grünen Weiden, die ersten Baumansammlungen erreicht sind, wäre eine Dusche eine mehr als willkommene Erfrischung. Etwas Neid machte sich breit, als das körpereigene Telezoom Objektiv jene, sich auf ihrem Mittelstrecken Flug befindlichen, Rotkehlchen und Buchfinken beim fröhlichen Bad im Wassertrog der angrenzenden und leer stehenden Kuhweide fokussierte.

Nur noch ein paar wenige rhythmische Pedalumdrehungen, eine weitere lang gezogene Linskurve auf losem und staubigem Schotter und der alles erlösende Schatten ist erreicht. 

Durchatmen, abkühlen und ab jetzt nur noch genießen. Pure, gereinigte, gefilterte Luft. Naturdoping.

Die ersten Kurven laufen spielerisch, fast mit geschlossenen Augen. Ein paar kleine Hügel, Baumstämme als Slalomstangen, ein Mini Drop, einmal noch extreme Muskelanspannung bevor es wirklich losgehen darf.

Kurz beschleunigen vor der nächsten rechts- links Kombination und dann... 

Dann wird mein rechter Antebrachium, der Unterarmmuskel, zu einer abrupten Beanspruchung gezwungen, den Bremshebel Richtung Lenkerstange zu zerren um ausreichend Öldruck in der Bremsanlage zu einer Vollbremsung aufzubauen.

Blut steigt in den Kopf und verlässt das Hirn kurz darauf wieder zur Gänze. 

Wo einst saftige Bäume vor sich hin wuchsen, die Luft reinigten, wie ein von Jahrgangsbesten Ingeneuren entworfener Katalysator, herrscht nun gähnende Leere. Baumstümpfe und Verschnitt soweit das Auge reicht. Kein Pfad mehr zu erkennen. OK, das war sicher notwendig. Der Lauf des Lebens bedingt nun einmal das Altes weichen muß, damit Neues entstehen kann, dennoch habe ich das selten so konsequent umgesetzt gesehen, wie in der Forstwirtschaft. Teile des Waldes müssen eben in gewissen zeitlichen Abständen erneuert werden. Etwas verzögert, denn immer noch etwas ungläubig auf diese Szenerie schauend, löst sich der Bremsbelag von der in der Sonne glänzenden Bremsscheibe und es kann weitergehen. Weiter den Berg hinauf, durch einen gelblich weißen  Schleier aus praller Sonnenbestrahlung und durch die leichte Brise aufgewirbeltem feinsten Staub. Der Blick ist fokussiert, die Knie stampfen kraftvoll in die Höhe und wieder hinab, die großen rot grauen Ziffern des Höhenmessers im Fitness Aufzeichnungsgerät am Handgelenk halten Schritt dazu. Der neue Einstieg in den Wald ist bereits zu erkennen, und schon bald darf die so abrupt unterbrochene Genussfahrt fortgesetzt werden. Leichter Druck über den rechten Handballen, Körper zentriert und schon holpern die Räder über Äste und Schnittabfall durch die nächste Rechtskurve, welche endlich in den nächsten bewaldeten Bereich führt. Jetzt dürfte der Tritt wieder runder werden, der Puls und die Atemfrequenz sich beruhigen, doch stattdessen versinken die Reifen wie ein Messer in Butter, welche die Ein oder Andere Stunde zuviel außerhalb des Kühlschranks verbracht hat. Die Forstmaschinen haben mit ihrem Gewicht und hoher Arbeitsintensität die Waldwege aufgepflügt und nun befindet sich nur noch ein sandiges Etwas unter mir. Mit schweren Tritten und ausbalancieren des Fahrrads geht es dennoch den nächsten Berg hinauf, nur damit, einmal an der Bergkuppe angekommen eines dieser Forstwirtschaftsmonster direkt vor meiner Nase auftaucht und den Weg versperrt. Also wieder zurück. Immerhin ist da ja noch der Abzweig zu einer meiner Lieblingsabfahrten, welche es schafft jede einzelne Komponente meines Zweirads an seine Belastungsgrenze zu bringen, normalerweise. Der Beschleunigungsvorgang war noch nicht wirklich abgeschlossen, da sorgten die Bremsgeräusche für einen Mini Tinnitus. Jene Bäume, die über viele Jahre den Mountainbikern auf ihren Abfahrten zusehen durften, lagen nun kreuz und quer über die Trails und bis auf eine weite, leere Fläche war kaum mehr etwas zu erkennen. Ob es der Schweiß war, oder aber ein paar wenige Tränen die sich ihren Weg über die Wangen und das Kinn Richtung Waldboden bahnten, kann ich gar nicht mehr wirklich sagen. 

Diese offenen Felder sollten die weitere Route begleiten, immer wieder Kahlschlag, immer wieder absolute Leere statt Gereinigter Luft unter gesund grünen Baumkronen. 

Das einige Grün fand ich dank meiner Vorstellungskraft als Gemisch des blauen Himmels und des grellen gelbes des Licht und Lebensspenders unseres Planeten.

Was als hoch motivierter, langer und spaßiger Mountainbike Ausritt geplant war, wurde zu einem kurzen Trauerspiel, welches ich, nachdem sich dieses Spiel noch das ein oder andere Mal wiederholen sollte, auch deshalb verkürzen würde, da durch die andauernde und intensive Sonneneinstrahlung, den fehlenden, kühlenden und beruhigenden Schatten, meine Flüssigkeitsreserven rapide ihrem Ende entgegen sahen.

Kaum die heimischen vier Wände erreicht, das Fahrrad in der Garage untergebracht, ließ ich einen müden Körper auf den immergrünen Rasen des Gartens sacken, den Blick starr auf die umliegenden Bäume gerichtet. Hier war die Welt noch in Ordnung, hatte noch jemand eine satte Portion Gelb in Blau getunkt.