Sardinen in der Dose

Zeiten haben sich geändert, ob kurzfristig oder über einen langen Zeitraum wird sich erst zeigen. Jedenfalls ist das Leben konservativer, reduzierter geworden. Ein Nachteil? Nicht unbedingt, jedenfalls nicht in jeglicher Hinsicht. Wenn nicht gerade ein Öltanker auf ein Riff aufläuft um kurz darauf daran zu Zerbersten, bekommt die Natur durch aktuelle Restriktionen etwas Raum zum Durchatmen, zur Erholung und Autorestauration.

Durch das momentane „Back to the Roots“ Leben, wird Zeit geschenkt, sich vielleicht zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Familie, Entspannung, Erholung, Konzentration auf das, was in naher Zukunft auf einen zukommen mag.

Ganz problemlos ist diese Situation sicherlich nicht, kann sich doch sehr schnell eine sehr monotone Alltagsroutine einschleichen, welche zum modernen Leben passt wie ein paar pinker Flip Flops zum Gala Kostüm.

Es war an der Zeit auszubrechen aus der neuen Routine, nicht als Rebellion gegen das Gegenwärtige, sondern vielmehr zum Lebenserhalt und Unterhalt. 

Wie ich mich dabei fühlte lässt sich vielleicht anhand des folgenden und gar nicht so abwegigen Beispiels mitteilen:

 

Nun liege ich hier, dichtgedrängt mit einigen Freunden und Familienmitgliedern, in einer kleinen Aluminium Box mit einem Rolldeckel, in eine ölige Flüssigkeit hat man uns gelegt.  Noch einmal kurz zurückblicken bevor sich der Deckel schließen wird:

Schwebend und frei, agil und lebensfroh, mal schnell und dann wieder gemütlich schwimme ich durch heimisches Gewässer. Es ist meine Heimat, es sind meine vier Wände. Wenn ich diese Komfort Zone einmal verlassen sollte begleiten mich die Familie, die besten Freunde und Artgenossen. Ein wirklich riesiger Schwarm der sich dann mit mir auf Reisen begibt. Ein tolles Gefühl, auch wenn nicht immer alle wieder mit zurückkehren in die Wohlfühloase. Große dunkle Schatten breiten sich hin und wieder über unseren kleinen Köpfen aus, um mit uns zu spielen und anscheinend gefällt das vielen so sehr, das sie gleich inmitten des Schattens verschwinden. Für mich ist das nichts, ich mag diesen Schatten nicht, so halte ich mich lieber fern. Immer mehr Schatten verdunkeln unseren Lebensraum, unsere Heimat, immer mehr meiner Artgenossen verschwinden. Das ist Schade, waren doch auch so viele Freunde dabei, von denen ich dachte sie würden bei mir bleiben, sie hätten Spaß daran mit mir die Gewässer unsicher zu machen. In seltenen Fällen entscheiden sie sich doch in letzter Sekunde dem Unbekannten zu trotzen, bevor sie der große Schatten an die Wasseroberfläche zerrt. Weshalb er das macht weiß ich nicht? Vielleicht weiß er nicht, dass uns da draußen die Luft zum Überleben fehlt und es uns nicht gut gehen wird. Vielleicht gehe ich eines Tages mit dem Schatten, aus Neugier. Ich möchte sehen wie es dort draußen aussieht. Bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringen kann, pressen sich alle meine Artgenossen mit enormem Druck an mich heran, und ein unbändiger Sog zeiht uns an die Wasseroberfläche. Der Schatten hat die Macht über unser Leben übernommen und wir können nur machtlos zusehen. Die Kiemen lechzen nach Luft, ein kurzer Kampf beginnt, bevor sich die Augen schließen und ich erst wieder in der bereits genannten Aluminium Box zu ein paar letzten Gedanken komme.

Die kleine und optisch ansprechende Schachtel aus Leichtmetall wurde eigens für unseren Aufenthalt sterilisiert, auf Hochglanz poliert. Schließlich sollte es uns gut gehen und keine fremden Erreger uns befallen und erkranken lassen. Das erfreut natürlich, dass sich so sehr um unser Wohlergehen gekümmert wird.

Wir setzen uns in Bewegung, grelle Lichter fliegen an uns vorüber, ein leichtes Rattern, minimale Turbulenzen könnte man es nennen und dann ein freier Fall. Wir verlassen unser gerade erst bezogenes glänzendes Domizil,  wandern einer nach dem Anderen auf einen Haufen auf dem Boden liegender Artgenossen aus anderen Gewässern, anderen Familien, mit unterschiedlichem Ursprung, Einigen scheint es nicht sonderlich gut zu gehen und nach der kurzen Reise in sterilem Raum, wirkt diese Zwischenstation nicht mehr so ganz hygienisch einwandfrei. Dennoch dürfen wir bereits kurze Zeit später, in unüberschaubarer, vielleicht etwas diffuser Reihenfolge, zurück in unsere erneut gereinigte Schachtel. Der Deckel wird diesmal verschlossen und es geht auf eine lange Reise, mit ungewissem Ausgang.

 

Der Ausritt aus dem momentanen monotonen Alltag bringt sicherlich in gewissem Maße etwas Lebensgefühl zurück und doch wirkt alles befremdlich, surreal. Viele Dinge scheinen plötzlich nicht mehr wirklich erklärbar, bleiben selbst nach langem Grübeln undurchschaubar.