Welt der bunten Tücher

Nur langsam, schwerfällig, hebt sich der Dunst vom nachtkühlen Asphalt, sammelt sich kondensiert in den vereinzelten Schlaglöchern. Die Straße hat sicherlich bereits bessere Tage gesehen. Zu viele Lasten transportierende Kraftwagen, mindestens ebenso viele Personen befördernde und licht durchflutete Autobusse, mit Haltestellen an jeder Ecke des Postleitzahlenbereichs, donnerten in den vergangenen Jahrzehnten die in Rot und Braun gehaltenen Häuserfronten entlang. Menschen, welche zumeist ihr Arbeitsleben bereits hinter sich gelassen haben, folgen dem Geschehen auf ihrer Straße bereits in den frühen Morgenstunden,  kopfschüttelnd, sollte mal wieder jemand die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit überschritten, der Nachbar schon wieder einen neuen Partner aus der vergangenen Nacht in den Tag verabschiedet haben, oder wegen der erst kürzlich zugezogenen Geschäftsfrau mit ihren seidenen schwarzen Haaren und perfekt sitzendem dunkelgrauen Kostüm, welche stets vor Sonnenaufgang in ihren mattschwarzen, eleganten aber sportlich gehaltenen Geländewagen einer Luxusmarke steigt um erst weit nach Sonnenuntergang wieder in ihr neubezogenes Haus zurück zu kehren.

Das warme Licht der Straßenbeleuchtung verleiht dem aufsteigenden Dunst etwas Mystisches. Durch vereinzelt halbgeöffnete Jalousien lassen sich leicht marode wirkende Holz Fensterrahmen erkennen, ebenso wie hochmoderne Isolationsfenster. In den Scheiben spiegeln sich die ersten Lichter, Menschen die sich auf ihre Arbeit vorbereiten, Kinder die noch schnell die Hausaufgaben erledigen wollen, bevor sie von ihren Eltern zu einem weiteren tollen Tag in der Lern Institution ihrer Wahl gebracht werden, oder die wenigen Schritte zur halbüberdachten Bushaltestelle bewerkstelligen müssen. Der Duft frisch aus dem Ofen gezogenen Frühstücksgebäcks vom Bäcker an der Ecke vermischt sich mit jenem von gerade eben mit, aus Südamerika importierten, gemahlenen Kaffeebohnen gebrühtem Kaffee, welcher wahrscheinlich im selben Teigwaren Handwerksladen in Behälter To Go gegossen wurde.

Das alltägliche Leben beginnt. Wie im Land der Murmeltiere, Tag ein, Tag aus. Der gleiche Rhythmus. Nach und nach verlassen penibel gepflegte Autos die Auffahrten der Häuser, reihen sich in den langsam entstehenden Verkehr ein, in sauberem Reißverschluss System. Die Arbeit ruft. Knappe acht Stunden werden es sein, bevor das ganze Szenario in umgekehrter Reihenfolge losgeht. Kaum zu Hause angekommen, warten zwei, drei Kinder um die sich gekümmert werden soll, oder die es bevorzugen, das man ihnen auch für den Rest des Tages nicht mehr über den Weg läuft. Ein bisschen Hausarbeit, kurz im Garten nach dem Rechten geschaut und dann ist Sport an der Reihe, oder Musik, Kultur. Vereinsleben.

Ein solides Leben, eine abgesicherte Routine. Selbst der jährliche Skiurlaub ist drin. Und im Sommer warten zwei Wochen Sonne und Strand pur. Hin und wieder weht ein leiser Wind, die Sonnenschirme flattern und die Brise sorgt für eine willkommene Abkühlung. Auf dem Meer schweben bunte Tücher, wie von Geisterhand angetrieben, hin und her, nutzen die ein oder andere Welle  um den Piloten der besegelten Wassergefährte aus einer höheren Ebene eine besseren Blick zu verschaffen, um kurz darauf wieder auf der bewegten Wasseroberfläche aufzusetzen. Es wirkt anziehend, spiegelt in gewissem Maße den Gedanken von Freiheit wieder

Die Tage werden geplant, Touren zu angepriesenen Zielen gebucht, im Netz als toll befundene Restaurants besucht und hin und wieder auch nach lokalen Geheimtipps Ausschau gehalten.

Auf dieses Leben wird ein Großteil der Bevölkerung, vielleicht nicht ganz zu Unrecht, vorbereitet. Auch die Bildungssysteme bereiten auf eben jenes solide und routinierte Leben in der Arbeitswelt vor, als die vielleicht wahre Stütze der Gesellschaft.

Allerdings ist nicht jeder Mensch gleich. 

Freischaffend und Kreativ wird aus der Routine ausgebrochen. Das Risiko als ständigen Begleiter, aber immer im Blick, um rechtzeitig und meist auch kreativ vorsorgen oder reagieren zu können. Eine aufregende, abwechslungsreiche aber auch in großen Teilen aufreibende Art sein Leben zu gestalten. Reisen gehören ebenso zu dieser Art der Lebensgestaltung, sei es um seine Ideen in die Welt zu verbreiten, den Kundenkreis zu erweitern oder die große Schule der Welt zu besuchen. Kaum etwas schult besser als Neues zu Erleben, andere Kulturen, aber auch Gesetze und Vorschriften kennen zu lernen und damit umzugehen.

Es wird nicht langweilig beim ständigen Auf und Ab. Es gilt auf dem Laufenden zu bleiben, sich ständig zu verbessern und sein Leben zu organisieren, bis irgendwann auch hier paradoxerweise eine Art der Routine eintritt.  Eine aufregende Routine, in welcher jeder Tag Neues birgt und in der Welt der bunten Tücher auch der Wind, die Wellen und Gezeiten eine tragende Rolle übernehmen, zu einer Einheit werden, um welche herum der Rest des Tages geplant werden kann.

Bevor die Nachrichten der Massen Medien verfolgt werden, sind die Windvorhersagen und Ansagen der Wellenbojen längst überprüft und ausgewertet. 

Kaum etwas spendet mehr Kraft, Positivität und Motivation, als seiner Passion zu folgen, sie zum teil des Lebens werden zu lassen und zu genießen. Man könnte dies als Freiheit bezeichnen. Willkommen in meiner Welt der bunten Tücher.