Kraft der Ruhe

Schon wieder sitzt er da, ein Bein baumelt lässig aus der noch leise im Wind schwingenden Hängematte, die Sandale wird nur noch gerade so von einem etwas zu langen Zehnagel davor bewahrt, von der Schwerkraft angezogen gen Boden zu stürzen. Der Atem ist rhythmisch, die Augenlider hängen ohne jede Anspannung über den Sehorganen, die Sonnenbrille locker ins ungekämmte aber gepflegte Haar geschoben. In der einen Hand das Telefon, auf Lautsprecher gestellt, während die andere Hand gemütlich den Bauchnabel bedeckt. Dem Gespräch folgend, welches aus dem mobilen Fernsprechgerät in seiner Hand tönt. Hektische Stimmen hallen in den Raum, laute Stimmen, nervöse Stimmen. Schlimmes scheint passiert zu sein. Die Arbeit der letzten Monate steht auf dem Spiel, das penibel, bis ins kleinste Detail geplante Projekt könnte scheitern. Hektische, kritische, problemvolle Zeiten könnten bevorstehen.

Der Puls aller Mithörer schnellt in die Höhe, es wird gestikuliert, wild, fast panisch.

Nur jener Mensch in seiner Hängematte zeigt keine Regung. Kaum wird sein Sitz-Liegegerät sich in Schwingung bewegen, um alles was sich in ihm befindet auf den Boden zu befördern. Im Gegenteil. Das Gespräch ist beendet. Beide Hände wandern hinter den Kopf, die Finger kreuzen sich im dichten Haar, die Augen schließen sich und der Brustkorb hebt sich einige Male. Absolute Stille. Erst dann erhebt sich dieser fast unmenschlich wirkende Ruhepol, um in leisem, angenehmen Ton die gerade erlebte Situation am Telefon zu erläutern, ein paar simple, aber ziemlich perfekt erscheinende, Lösungen vorzuschlagen und umzusetzen. 

Selbst eine Tsunami Warnung würde die Atemfrequenz dieses Menschen kaum beschleunigen und so schlendert er, als wären diese Art Probleme das normalste Tagesgeschäft, zu seinem Computer, gibt mit einer Hand ein paar Befehle ein, scrollt ein wenig Websites auf und ab, während die andere Hand als Smartphone Halterung herhalten muss. Wenige Minuten und ein paar Telefonate später geht es zurück in die Ausgangsposition. Diesmal bekommt sogar der zweite Fuß einen Platz in der in milden Beige- und Brauntönen gehaltenen, Hängematte. Bluetooth Kopfhörer bedecken nun die Ohren und Musik dringt in den Gehörgang. Ein schöner Tag.

Während die meisten Menschen bereits beim leisen Anflug einer Stresssituation zu zittern beginnen, der Magen anfängt zu schmerzen, Die Pizza Tonno von vor vier Tagen sich meldet, die Stirnhöhlen sich anfühlen als hätte jemand einen Kipplaster Kieselsteine hineingefüllt und sich alles zu drehen beginnt, trifft man immer wieder jene Alltagshelden, welche gerade für solche Situationen geboren zu sein scheinen.

Aber wie funktioniert das? Sicherlich handelt es sich nur um einen sehr geringen Anteil genetisch bevorteilter Supertalente, könnte man denken. Werden Fähigkeiten einfach so, vielleicht gar willkürlich mit in die Wiege gelegt? Vielleicht.

Tatsächlich säumen den Weg hin zu mehr Gelassenheit, Übersicht, schnellem und organisierten Denken, Bäume mit Früchten voller Arbeit, Schweiß, Hingabe und nicht zuletzt, Risikobereitschaft. Diese Früchte möchten gerne gepflückt, nicht aber gleich verschlungen werden. Sie wollen Teil eines unvergleichlichen Lernprozesses sein. Lang ist er, der Weg, kurvig und größtenteils steinig. Keine Al glatten Pflastersteine, akkurat nebeneinander in den Boden eingelassen. Stolpern ist teil des Prozesses, genauso wie aufstehen und weiter zu gehen.

Es warten Herausforderungen, Hürden und Umwege. Physisch wie Psychisch wird man an das stoßen, was man bis dahin als seine Grenzen erachtet hatte. 

Nur wer sich traut, diese Grenzen und Hürden zu überwinden, wird sie nicht mehr als solche betrachten, nicht einmal im Rückblick.

Je mehr selbst auferlegte Grenzen überwunden werden, vielleicht sogar mit ihnen gespielt wird, je mehr und je höher die Hürden, die es zu überwinden galt, umso geringer wird das Zittern werden, sollte doch mal wieder ein unförmiger Stein im Weg liegen. Gehört es zum Alltag größere Risiken einzugehen, werden sie im Laufe der Zeit nicht mal mehr als solche angesehen werden.

Natürlich gehört Planung dazu, sich zu informieren, Dinge anzugehen und nicht aufzuschieben. Ist alles Ungewisse einmal aus dem Weg geräumt, schrumpfen meterhohe Mauern zu kleinen Bodenschwellen, welche selbst  Fahrzeugen mit Sportfahrwerk keine Sorgen bereiten dürften.

Ein Risiko ist in den meisten Fällen nur ein solches, wenn man sich nicht darauf vorbereitet hat, oder keine Gelegenheit dazu bekam. Selbstüberschätzung ist der beste Freund des Risikos und hilft ausschließlich dabei, an irgendeinem Punkt dem Risiko die Oberhand zu gewähren und es bestimmen zu lassen.

Wer sich vor einer Geschäftsöffnung bis ins kleinste Detail informiert, Investitionen genau kalkuliert und überprüfen lässt, sich auf alle Vorgaben und Lizenzen einlässt, für den ist es das neue Leben kaum mehr ein Risiko.

Wer sich im Sport trainieren lässt, die Technik richtig und sauber erlernt, wobei bei vielen Sportarten auch Sturztechniken absolut dazu gehören, der geht maximal das kleinst mögliche Risiko ein. Der gute Wellenreiter stürzt sich nicht in unbekannte Fluten. Er ist vorbereitet, fit, und studiert neue Reviere, Untiefen, Gezeiten, Strömungen. Ist man es leid sich ständig zu Sorgen, um jede Kleinigkeit, eine kurze Reise, das Sportevent am nächsten Tag, neue Kollegen, dann sollte man die kleinen alltäglichen Herausforderungen annehmen, greifen und zu einer kleinen Bodenwelle degradieren. Das Leben wird es einem Danken.

Natürlich besteht immer die Möglichkeit auf dem Weg stehen zu bleiben, umzukehren.

Wer sich allerdings für dieses Dasein auf der tristen grauen Couch entscheidet, wird die beige braune Hängematte nicht kennenlernen.