Unerwartete Fröhlichkeit

Es ist früher morgen, die ersten Sonnenstrahlen  noch längst nicht in Sicht, nicht mal der Straßenlärm hat eingesetzt, das allmorgendliche Vogelzwitschern lässt noch auf sich warten. Vielleicht bellt der ein oder andere Straßenhund in der Ferne, aber das Bett möchte einen nicht mehr, schubst einen in den Tag. Ganz ohne penetranten Radio Wecker ohne Snooze Taste, zu sehr hat sich der Körper bereits auf die dunkle Nacht als Zeit des Aufwachens eingestellt. Morgensport steht auf dem Programm, ein früher Start in die Arbeit, oder ein wichtiger Termin, und die Motivation befindet sich im Negativbereich. So viel lieber würde man sich gerne wieder auf die Bettkante setzen, langsam die Beine auf die Matratze schwingen und die Decke über den Körper ziehen, wohl wissend, dass man diese unglaublich gemütliche und kuschelige Position, welche man nie mehr verlassen wollte, nicht wieder erreichen würde.

Meine kleine Tochter, im Pampersalter, hat mich erfolgreich im frühen Aufstehen trainiert. Irgendwann werde ich ihr dafür danken. Mühsam sind die ersten Schritte. Erst ins Bad oder doch vorher noch den Kaffeeautomaten einschalten. Kaffee zuerst. Mit schweren Augenlidern geht es ins Badezimmer, in den Spiegel schaue ich besser nicht, würde mich wohl auch noch nicht erkennen und eventuell schreckhaft über den Wäschekorb stolpern und mir den Kopf anschlagen, also bleibt der Blick gesenkt. So ist der Weg der Zahnbürste in den Mund auch nicht so weit. 

Ein kurzes Zucken unter die kalte Dusche. Dem Gehirn scheint es geholfen zu haben. Der Kopf ist frischer, der Blick wird klarer, nur der Rest der Muskulatur verweigert immer noch zum größten Teil seine Arbeit. Selbst das der frische Kaffee gerade Lippen, Zunge und Rachen verbrüht wird kaum wahrgenommen und ist eigentlich auch egal.

Auf dem Weg zur Haustüre mal kurz das Radio eingeschaltet, vielleicht gibt es noch die ein oder andere wichtige Nachricht. Nein, Stattdessen Musik. Mein Song! Die Muskulatur lockert sich etwas aber dennoch geht es schwerfällig weiter. Also los, Türe auf und raus. Muss ja. 

Kaum ist der innere Schweinehund überwunden, man atmet den ersten Stoß Frischluft ein, saugt ihn in sich auf und geniesst ihn, wie ein Raucher seinen ersten frühmorgendlichen Zug am Teerstengel. 

Die ersten Sonnenstrahlen, die Stimmung schwankt, kippt. 

Automatismen übernehmen die Oberhand und verrichten ihre Arbeit, denn nichts anderes scheint es heute zu sein.

Normalerweise schwingt der Tennisschläger locker und kraftvoll am Körper entlang, ist der Tritt in die Pedale rhythmisch, flüssig, nicht sonderlich anstrengend, schweben die Finger über die Tastatur, füllen selbst komplexe Formulare schlafwandlerisch aus, lassen Texte entstehen, welche einen jeden Kunden, einen jeden Chef definitiv überzeugen werden. Nicht heute.

Nochmals kurz motivieren, zusammen reißen.

Die Füße heben sich vom Boden, Schritt für Schritt rollt der Fuß von Ferse zu den Zehen, leise setzen die Gummisohlen auf den Asphalt um eben so geräuschlos wieder abzuheben. Die Oberschenkel pressen die Füße hinab auf die Pedale, aufwendig, mühsam. Plötzlich lässt der Muskelschmerz nach und die Kurbeln schwingen rhythmisch, lassen das Knarzen der Kette verschwinden.

Die Finger über der Tastatur finden endlich die korrekten Kombinationen aus Buchstaben und Satzzeichen.

Immer schneller fliegen die Finger, immer lautloser klingt die Tastatur, kaum noch wahrnehmbar.

Wie von Geisterhand, fast magisch, ist die Müdigkeit nur noch der Hauch eines Gedankens im Kurzzeitgedächtnis. Der Weg ins Langzeitgedächtnis wird ihm nicht gewährt werden.

Plötzlich scheint alles klarer, jedes noch so kleine Detail wird wahrgenommen, und genossen. Seien es die ersten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Wolken oder über den Horizont bahnen, die ersten zaghaften Konversationen unter Amseln, die leichte Brise, welche die Blätter der Bäume im nahegelegenen Park zum Leben erwecken. Der Dunst über den Rasenflächen, das Farbspektrum der Straßenbeleuchtung, dessen Licht sich schon bald mit dem der aufgehenden Sonne vermischen wird, um sich kurze Zeit später abzuschalten.  

Eine Nachricht im Email Ordner, die man lange Zeit nicht öffnen wollte, da von diesem Absender selten Positives verfasst wird, entpuppt sich als absoluter Glücksfall, ein eigentlich gar nicht so toller Witz eines Kollegen, der aber heute Potential für das Vorabend Programm eines Stand Up Newcomers haben könnte, oder vielleicht einfach die frische Luft, die Bewegung, die Anstrengung, welche genügend Adrenalin freisetzen um den Körper in ein völlig anderes Stadium zu versetzen, schnallen einen Gurt um die Hüfte, um mit einem Lastenkran das fast erdrückende Körpergewicht zu lösen, einen Schwebezustand einzuleiten.

Von einem Moment auf den Anderen fühlt man sich super, erlebt den besten Tag auf dem Bike, ist der beste Spieler auf dem Platz, die Präsentation bei der Arbeit wird überwältigend und man befindet sich in einer Situation nie endender Euphorie.

Es lohnt sich zu überwinden, den Schweinehund vor die Tür zu setzen und die ersten schweren, trägen Schritte zu machen.

Zwischen all den Nein Sprechblasen, welche unter der  Schädeldecke schweben und versuchen das Sagen zu behalten, versteckt sich auch immer ein Ja.  Dieses gilt es herauszupicken und nicht mehr loszulassen.

Je größer die Überwindung, umso größer wird meist auch das Glücksgefühl, die Euphorie, sein, wenn man endlich losgelegt hat und der gesamte Druck abfällt. Je länger Dinge aufgeschoben werden, umso mehr Druck und Stress baut sich auf, umso höher die Mauer, die es zu überwinden gilt um aus diesem Haus ohne Ausgangstür zu entfliehen. Jeder kann diese Mauer überwinden, macht man nur den ersten Schritt, erklimmt die erste Sprosse der Leiter auf dem Weg ins Glück.