Licht

Es ist soweit. Mein Körper bewegt sich wie in Trance, über die Netzhaut der Augen hat sich ein Film gelegt. Verschwommen erkenne ich die Silhouette der Bucht, den sichelförmigen Standverlauf, Wellen kommen vom offenen Meer hereingerollt und krachen unbarmherzig auf den gelben Sand. Die Gicht schießt in die Höhe und wird vom Wind auf jenes Lavagestein befördert, welches die gesamte Bucht umringt, wie eine schwarze Festung., deren Aufgabe es ist die anstürmenden Naturgewalten abzumildern um das Land und die Menschen vor ihnen zu schützen. Durch  dichten Nebel wandert der Blick, scheint es.

Oberhalb der Lavafelsen lassen sich die weißen Gebäudestrukturen der Hotels, Ferien- und Wohnhäuser erkennen, Fenster, Türen und Balkongeländer in typischem Grün gehalten. Im Erdgeschoß Geschäfte, Bars und Restaurants, welche mit ihren Naturstein Fassaden die frisch in blau und gelb eingefärbte Strandpromenade säumen. Am südlichen Ende der Bucht wacht das riesige, bereits etwas in die Jahre gekommene Monument, Los Juguetes de Erjoy, über die ein und ausfahrenden Seefahrer.

In seinem Schatten, im Schutz des meterhohen Stahlbetons der großen Hafenmole, wandern die kleinen Fischerboote im Rhythmus des Meeres auf und ab, ruhen sich aus, von unzähligen Fahrten durch die raue See des Atlantiks, während auf der See Seite der Mole Berge aus Wasser an den riesigen Felsen zerschellen.

Leise, sanft und als würde die Zeit für einen kurzen Moment stillstehen, schwappt das Wasser, die kleinen Shorebreak Wellen, über meine Füße. Spritzwasser schafft bahnt sich den Weg meine Neoprenbekleideten Beine hoch. Warm ist es, dann dieser unvergleichliche Geruch, salzig, fischig, frisch, rein, ein Genuss.

Erinnerungen an die Jugendzeit kommen hoch, als ich mit meinem Surfmobil wieder einmal unterwegs gen Nordseeküste war und bereits 50 Kilometer vor Ankunft die Fenster hinunterkurbelte, um diesen einzigartigen Geruch, diese Meeresbrise, zu erhaschen, welcher für mich eine Art von Freiheit bedeutete.

Immer noch verunsichert hebt sich mein rechtes Bein auf das Heck meines Boards. Vollautomatisiert schieben meine Arme das Segel gen Bug, Leichter Segeldruck hilft beim Aufstieg. Kurzer Blick zurück. Ist es wirklich in Ordnung? Kann es sein, dass ich nach knapp acht Wochen eingesperrter Lebenszeit wieder das machen darf, wonach sich mein gesamtes Leben und mein Lebensstil ausgerichtet hat?

 

Bereits der Weg hierher war anders, teils befremdlich.

In völliger Dunkelheit verließ ich die Wohnung, ein paar Schritte bis zur Strandpromenade. Gewöhnlich kreuzen jetzt bereits die ersten Athleten, Jogger, Radfahrer den Weg. Auf dem roten Mittelstreifen, welcher den bereiften Sportmitteln vorbehalten ist, bewegt sich nichts. Kein surren der Sporträder, kein „permiso“ um sich den Weg zu bahnen. Es ist verdächtig ruhig. Die Palmen wehen im Wind, die Wellen schlagen an die Küste und in den gepflegten Kaktus und Blumen Beeten, welche den Weg umgeben, scheinen nun auch Gummihandschuhe und Einweg Gesichtsmasken gepflanzt worden zu sein. Die ein oder andere wohlgenährte Katze kreuzt den Weg, gelegentlich kommen mir Jogger oder schnell gehende Menschen in hautenger Trainingskleidung entgegen, Mund und Nase unter weiß blauem Mund Nasenschutz verhüllt.

Etwas mehr als einen Kilometer sind es bis zu meinem Windsurfmaterial. Etwas mehr. Dabei darf man sich nur einen Kilometer vom Haus entfernen, als Spaziergänger. Als Sportler steht immerhin das gesamte Gemeinde Gebiet zur Verfügung. Wozu zählt mein Spaziergang zum Sport? Begehe ich bereits eine strafbare Handlung oder befinde ich mich absolut im grünen Bereich. Wer weiß das schon.

Es gilt Abstand halten. Leute weichen aus, wechseln die Straßenseite wenn sie entgegenkommen. Was habe ich getan? Ist mir etwas nicht aufgefallen, habe ich vergessen meine Hose anzuziehen, klebt mir Essen im Gesicht, ist trotz morgendlicher Dusche der Körpergeruch so penetrant, oder kleben mir überdimensionale, grell leuchtende Viruszellen an der Kleidung? Tatsächlich muß ich feststellen, dass mein Verhalten Anderen gegenüber sich von jenem kaum unterscheidet. Was haben die letzten Wochen nur mit uns gemacht. 

Ungläubig stehe ich jetzt auf meinem Board, balanciere es durch den windabgedeckten Bereich, gemütlich hebt sich der Bug durch das sanfte, klare Wasser. Ein paar Leistungsschwimmer ziehen vor mir ihre Bahnen, ihre gelb und pink leuchtenden Bojen folgen ihnen gehorsam. 

Auf und zwischen den, durch das extreme Niedrigwasser freiliegenden, Felsen, hat es sich der ein oder Andere Angler gemütlich gemacht. 

Die schwimmende Pausen Insel der Windsurf Schulen wurde auf die Felsen geschwemmt. Es scheint eine wilde Nacht auf See gewesen zu sein.

Der Wind weht aus etwas zu nördlicher und somit ablandiger Richtung hinaus aufs Wasser. Nichts ungewöhnliches, für diese frühe Morgenstunden. Mir wird die Windrichtung helfen schneller und in besserem Winkel zum Riff zu gelangen

Die ersten Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die dichte Bewölkung und legen sich wie ein gigantischer Fächer über die aufgewühlte See, sorgen für eine dramatische Stimmung.

Die Wasseroberfläche auf meiner Luvseite, der Wind zugewandten Seite, verdunkelt sich, die Böe fühlt sich toll an und vor allem sorgt sie für ausreichend Segeldruck um mich zu beschleunigen, Druck auf der Finne aufzubauen und mein Board in Gleitfahrt zu versetzen. Das Board schlägt leise auf die Kabbelwellen und bringt mich direkt Richtung Riff, welches eine magische Anziehungskraft ausübt. Nicht direkt das Riff, sondern eher das, was sich über ihm abspielt. Die Felsen bremsen die heranrollende Dünung, welche als dunkle, majestätische Wassererhebungen am Horizont zu erkennen sind, ab, um sie zu wunderschönen Wellen zu formen. Für eine gefühlte Ewigkeit werde ich diesen Spielplatz für mich alleine haben, eine Welle nach der Anderen abfahren. Beschleunigen, ankanten, umkanten und wieder von vorne, bis die Knie weich werden, die Unterarme den Neoprenanzug an seine Belastungsgrenze bringen.

Unweigerlich wandert mein Blick immer und immer wieder in Richtung der Wellenkämme. In der Gicht brechen sich die morgendlichen Sonnenstrahlen, reflektieren von den nassen Felsen und sorgen für ein mystisches, traumhaft schönes Licht. Das Licht am Ende des Tunnels existiert. Wir scheinen ihm näher zu sein, als wir es noch vor sehr kurzer Zeit zu Erträumen gewagt hätten.