Der lange Weg zur Kokusnuss

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Der lange Weg zur Kokosnuss

Wer kennt sie nicht, sie stehen für Urlaubsfeeling pur, stehen fast bereits klischeehaft für Karibikfeeling. Schlank und doch von markanter Muskulatur, agil und zweifelsfrei einheimisch, Fischersohn vielleicht? Definitiv nicht aus wohlbetuchtem Haus, so jedenfalls das Klischee und vielleicht sogar mit einem weit größeren Wahrheitsgehalt als gedacht. Schlank, kräftig und agil sind hilfreiche Attribute um die Palmenautobahn hinauf zu rasen, als würde es morgen bereits keine Palmen mehr geben, oder keine Touristen, welche den ein oder anderen Geldschein aus ihrer kitschig bunten Badeshort zücken um diese zu einhundert Prozent natürliche Vitaminschale, auf tausendfach wiederverwendetem Eis in spröden, knallbunten, eingerissenen und eventuell nicht unbedingt keimfreien Plastikbehältern gebettet und gekühlt, mit einem gezielten Machetenschlag öffnen zu lassen, bevor, durch einen Strohhalm aus zweifelhafter Herkunft, die sogenannte Kokosmilch, tatsächlich trinkt man das ballaststoffreiche und häufig auch abführende Kokoswasser, aus der Kokosnuss direkt in den Rachen, hoffentlich dann auch durch die Speiseröhre und in den Magen transportiert wird. Erfrischend. Wenn man es mag.

Was wäre nun, gäbe es eben jene schlanken, kräftigen und agilen Fischersöhne, welche den Tag damit verbringen „Coco frio“ singend ihre Waren an jene Menschen zu verschleudern, die sich zufälligerweise gerade ihren Strand als sonniges Domizil für die nächsten ein, zwei Wochen oder auch nur das kurze Liebeswochenende, ausgesucht haben, nicht.

Es wäre ein langer Weg das tropische Palmengewächs hinauf, diese gräulich, oder sind sie doch eher bräunlich, oder gar rötlich, weissen, schmalen und rutschigen Parkettböden vor Fertigung ohne Ahnung, ohne Erfahrung, ohne Technik, vielleicht aber mit einer ordentlichen Portion Motivation. Ja, Motivation ist alles.

So schwer kann es ja nicht sein, nach wenigen Versuchen sollte es möglich sein, zum KoKo Pro zu konvertieren, könnte man denken.

Ok, die ersten Versuche nach Lehrbuch gehen fatal in die Hose, vielleicht ist etwas mehr Schwung nötig. Mit ordentlich Anlauf frontal auf einen Jahrzehnte alten, fast vertikal wachsenden und tief verwurzelten Stamm loszurasen war dann auch nur sehr bedingt die richtige Idee. Kurz die blutverschmierten Papiertücher ordentlich in der nächsten Mülltonne versorgt, bekommt die herkömmliche Technik eine weitere Chance. Aufgeben, niemals. 

Klammern, kamen die Arme oder die Beine zuerst. Noch mal versuchen, bei jedem Versuch erscheint es, dem goldenen Gral ein paar Zentimeter näher gekommen zu sein. 

Anstrengend ist es schon, irgendwie. Kurz bevor das Hirn Boten mit Ermüdungssignalen im Gepäck auf die Reise durchs Rückenmark Richtung Muskulatur senden kann, kommt die Philosophie der Herangehensweise vom hinteren Teil der Reservebank aufs Spielfeld gesprintet. 

Da wären zum Einen die Übermotivierten. Immer weiter versuchenden, die immer, ja immer, mindestens vollen Einsatz zeigen, schließlich spürt man die Kokos Schalen bereits in Händen, das Kokoswasser durch die Finger rinnen, erfrischend und klebrig. Dann sind da die Besonnenen. Pausen einlegen, Inne halten, vielleicht neue Ideen entwickeln.

Kein Gedanke ans Aufgeben. Schließlich bewirken ein zwei Schritte rückwärts, das abschließend die finale, Goliathgleiche Beinschere gen Ziel zelebriert werden kann.

Kurz verschnaufen, und schon kommt mir eine Anekdote in den Sinn, bei welcher sich eine Gruppe jüngerer, dynamischer Menschen und eine Gruppe, welcher man ansieht, das sie in ihrem Leben bereits das ein oder Andere geleistet hat, vielleicht den ein oder Anderen Sonnenstrahl zuviel auf ihre spröde, unbedeckte Haut hat einwirken lassen. Sie schauen auf in der Hitze gleißenden Asphalt, bis zum Horizont scheint sich die vor ihnen liegende Straße hinzuziehen. Geradeaus, immer geradeaus. Im äußersten Augenwinkel scheint eine Biegung erkennbar. Dort dürfte sich das Ende der Straße, das Ziel, befinden. Voller Enthusiasmus sprintet die junge Gruppe los, Gruppe grau hält kurz inne und setzt sich dann ebenfalls in Bewegung, gemütlich, die Aussicht genießend, schließlich hat die umliegende Steppe, die Bergketten zur Rechten und der in der Ferne erkennbare Küstenverlauf einiges zu bieten. Auch Fotostopps sind nicht ausgeschlossen. An der Biegung angekommen, reicht der Sauerstoffgehalt der jungen wilden immerhin noch, um in weiter Entfernung die nächste Biegung erkennen zu können, hinter der, so sollte es sich herausstellen, eine Geröll Lawine den Weg versperren würde. Keine wirkliche Hürde für diese unermüdlichen Heranwachsenden. Einige Kletterversuche und unzählige Blessuren später war diese Hürde genommen. Weiter geht’s. Um es kurz zu halten, diese Geschichte würde sich noch etliche Male wiederholen, die Batteriedauer der ums Handgelenk geschlungenen Schrittzähler nicht ausreichend sein.

Ein paar Sonnenauf- und Untergänge später erreichte die nicht mehr ganz  so erfrischende Truppe das Ziel. Völlig erschöpft durften sie das medizinische Personal vor Ort kennenlernen. 

Deutlich zeitverzögert näherte sich eine weitere Gruppe, graumeliertes Haar, die Arme locker neben ihren Körpern schwingend, in Gespräche vertieft, die Kleidung akkurat aber locker, leger, schienen sie ihrer Destination entgegen zu schweben.

Sie sollten viel zu Berichten haben, von gemütlichen Lagerfeuern, entfacht  mit rasch zusammengetragenen Weich- und Harthölzern der Umgebung, dem Duft der Zypressenfelder, von Olivenhainen, einer Geröll Lawine der sie zu einem Umweg zwang, auf welchem sie den etwas untersetzten Weinbauern, unter seinem riesigen Strohhut kaum zu erkennen, begegneten, welcher zur Verköstigung seines letzten Jahrgangs einlud, von lustigen und unterhaltsamen Gesprächen mit anderen Reisenden und befremdlichen Situationen mit selbsternannten und selbst isolierten Einheimischen, von wunderschönen Wäldern am Fuße der Gebirge,  Obstplantagen, gigantischer Steppen nur ein paar Kilometer weiter, beängstigenden Begegnungen mit Wildhunden, dem Klang von Vogelzwitschern bei Sonnenaufgang Ja, sie hatten viel zu erzählen. In kürzester Zeit scharten sich Menschen um sie, neue Freunde waren schnell gefunden, während Ärzte und Krankenschwestern unermüdlich Vitamin Infusionen in die Venen der jungen Truppe jagten, Verbände wechselten und nicht aufgaben die Psyche wieder Richtung Normalzustand zu versetzen.

Vollgas ist nicht immer der schnellste Weg ans Ziel.

Der Nebel vor meinen Pupillen verzieht sich langsam, die Augenlider heben sich und immer noch ist da diese Palmengewächs Situation.

Tagträume sind, wenn man es denn zulassen sollte, nicht selten sehr Lehrreich. 

Also sinkt der Körper schlaff in eine von dutzenden Thermoplast Sonnenliegen, bei denen sich die Frage stellt, ob die bereits erwähnten Plastikeimer als Vorlage dienten, oder umgekehrt.

Während die Schultern in eine fünfundvierzig Grad Schieflage versetzt werden, befinden sich Hinterteil und die linke Wade so nah über dem Boden, das die Sandfliegen zum Festmahl rufen.

Bereit für Philosophie Nummer drei, die intelligente.

Es knirscht und knackt unterhalb der im Wind  tanzenden Palmblätter, ein kurzes zischen und schon schlägt die Frucht der Begierde neben dem Horizontal Sonnenstuhl ein, die aus der Fallhöhe und Gewicht resultierende Geschwindigkeit und ein Überbleibsel aus steinigeren Urzeiten führten zu einem leichten Riss an der Oberseite, Coco Frio bereit zum Verzehr.

Jeder wird mit seinen getroffenen Entscheidungen Herr über sein Leben, sein Glück. Führt der Weg nicht ans Ziel, ändere den Weg und vielleicht kommt das Ziel zu Dir.